Blickmagie und Geisteswehen. Zu den Bildern von Francesca Mele

Du bist sofort gebannt… Wer ein Bild von Francesca Mele gesehen hat, vergisst es nicht, oder besser: das Bild vergisst den Betrachter nicht, nimmt ihn in sich auf, umstellt ihn, liefert ihn einem Sog aus, der unwiderstehlich scheint. Blickmagie, ja Blickbann. Es prägt sich ihm ein, es umhüllt ihn. Du wirst ins Bild gesetzt über etwas, was ganz fern ist und doch betörend nah.

Dieses Schaffen schöpft aus archetypischen, dramatisch-opernhaften und mystisch-mystagogischen Potentialen; es ist die Tiefensprache des Unvordenklichen der Seele, ihres Dämmerns und Erwachens, ihrer Flüchtigkeit, Zartheit wie unheimlichen Weite und Tiefe. Und das Ganze ist mal in höchster Bewegung, einer hintergründigen Sogkraft und Perspektivik ausgesetzt, die das Eigentliche hinter den Kulissen der barocken Architekturen und Inszenierungen vermuten lässt, mal in beruhigter Beschauung eingefangen, die aber ebenso rätselhaft bleibt. Es ist eine Malerei auf der Schwelle von Rätsel und Chiffre hin zu einem Geheimnis, das uns umweht, bedrängt, fliehen lässt. Doch wir entkommen ihm nicht.

Da ist etwas von der Magie, dem Unendlichkeitssog der metaphysischen Malerei bei De Chirico, aber nicht statisch, sondern in höchste Bewegung versetzt. Eine ‚venatio sapientiae‘, eine Jagd der Weisheit; der Mensch wirkt öfters gehetzt, verfolgt von unsichtbaren Mächten, Lichteinfällen, Dunkelzonen – und er selbst scheint einen fliehenden Gott zu jagen: ‚braccare il Dio in fuga‘, so habe ich einmal von den Gedichten von Giorgio Caproni geschrieben, die von der Gottversehrtheit berichten. Dort freilich mit tödlichem Ausgang. Bei Mele ist der Mensch hingegen vom Geheimnis gehalten, gerahmt, wenigstens von seinen Traditionen und Gestalten umstellt. „Einsame Schritte“ bleiben es auf der Flucht – woher, wohin?

An dieser Stelle eignet den Bildern etwas Musikalisches. Sie bilden nicht nur Partituren ab, sondern sind solche, die zur symphonischen Aufführung drängen. Cello, Geige, Tastatur, die „Petite Messe solennelle“. Wehende Blätter. Bewegte Stillleben. Die Nähe zur Musik war ja auch bei Klee und Kandinsky bestimmend, wie die zur Volksfrömmigkeit im Blauen Reiter um 1910. Besonders bei Klee, dem virtuosen Geiger (und Ehepartner einer Pianistin), schimmern Rhythmus und Seele der Musik in allen von ihm skizzierten Dingen hindurch, so als ob ihre Spur im Ewigkeitssand aufschiene, ihre unsterblichen Seelen endlich einmal frei hätten und sich austoben oder auch nur vor sich hinträumen könnten. So beschreibt es Erhard Kästner in seinem wundersamen ‚Zeltbuch von Tumilat‘.

Alle bisher nachgezeichneten Konturen und Bewegungen sind Spiegelungen und Aufführungen des Geisteswehens, seiner pneumatischen Dynamik, seiner Geburtsschmerzen. Es ist eine inspirierte Malerei, durchweht, durchpulst von einem barocken Schwung, von einem geheimen Schmerz, einem Geheimnis, das den Menschen nicht in Ruhe und doch bei sich sein lässt. Da saust ein dauernder Wind durch die Bilder, es fluten die Wasser. Die Konturen und Szenen sind ins Vage geschrieben, lösen sich auf, verschwimmen, werden fortgerissen oder ihrem Innengeheimnis preisgegeben. Die elementaren (Feuer, Luft, Wasser, Atem, Licht, Sturm), erotischen (Umarmung, Kuss, Gabe, Band), therapeutischen (Tröster; man denke an die Homöopathie der Pfingstsequenz) Symbole des Heiligen Geistes sehen sich in Szene gesetzt. Ab und zu auch liturgisch oder christologisch verdichtet, zumeist aber in vagen und umstellenden Kulissen dargestellt, vielleicht sogar eher ausgesetzt. Das Unheimliche wird Geheimnis, welches aber von jenem umdräut bleibt. Von daher die Dämmerfarben, das vorherrschend dunkle Blau, meist noch einmal zerrissen, durchbrochen oder aufgehellt von einem Lichtschimmer oder –einfall.

Ist darin Francesa Mele nicht eine „Vestalin der Abwesenheit“, wie einer der Titel ihrer Kataloge lautet? Und haben wir uns mit allem Gesagten nicht im Magnetfeld ihrer Bild- und Ausstellungstitel bewegt: Die Mondlaunen des Barock, die beschaute Musik, Venus Alma Venus, Das Wehen der Verzauberin, Die aufgehobenen Grenzen, Dialektik der Bilder, Das Sacrum–das Feuer. Da werden die Widersprüche zu polaren Paaren, die Dämmerung zum Ort der Erscheinung. Vielleicht.

Dem entspricht der Stil der Bilder, mit ihrem klassischen Können, ihren konturierten Szenen und Gestalten; nicht  umsonst gibt es Hommage-Arbeiten, die sich an Guercino, Veronese und van Dyck orientieren. Und doch fallen sie nicht aus der Moderne, umspielen sie mit ihren aufgelösten Rändern, den kubistisch inszenierten Dingräumen, dem Vagen und Schwebenden, dem mehrfach Aufgetragenen und Geschichteten im Pinselstrich und Spachteln, eine Atmosphäre, die dem Unaussprechlichen und Unanschaulichen Exil gewährt, es sein lässt in all seiner Opazität, seiner rätselvollen Vielschichtigkeit und Vielgesichtigkeit.

Der Rätselspur und –schrift des Lebens wird hier Stimme, Dynamik, Farbe und Kontur gegeben, ein Raum eröffnet, in welchen sie als Chiffre, offene und verwundete Metapher, manchmal auch als kryptisches Symbol eines Geheimnisses erscheinen, das sich in ihnen verbirgt und seinen Offenbarungseid leistet. Und nie wird verleugnet, dass sich diese mehrfache Spurenlese am christlichen Mysterium und Kult, an ihren Traditionen und ihrer seltsamen und unverzichtbaren Gegenwart inspiriert, sie anders und verfremdet, fast träumerisch ins Spiel zu bringen versucht. Und  was wäre der Mensch ohne die Träume und Traumata, die Konturen und Räume seiner religiösen und künstlerischen Einbildungs- und Vorstellungskraft?    

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